Bußgeldkatalog nichtig – Wohnmobil-Urteile
In „Corona-Zeiten“ möchten viele Menschen mit dem Wohnmobil verreisen und Hotels meiden. Derzeit werden daher sehr viele Wohnmobile angemietet und auch gekauft.
Wir möchten Ihnen hierzu einige wichtige und richtungsweisende Urteile vorstellen, die Sie vielleicht vor Schaden bewahren können.
Und dann brandaktuell: Sie haben es sicherlich schon gehört, der „neue Bußgeldkatalog“ ist nichtig. Sollte es Sie nach dem neuen Bußgeldkatalog erwischt haben, geben wir Ihnen eine Übersicht, ob und wie Sie sich wehren können.
- Der neue Bußgeldkatalog
- Warum ist er nichtig?
In der sogenannten „Präambel der 54. Änderungsverordnung“ – der „fahrradfreundlichen“ StVO-Reform – müssen alle dem Erlass der Verordnung zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlagen genannt werden, um dem Zitiergebot des Art. 80 Grundgesetz zu genügen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in anderem Zusammenhang in einer früheren Entscheidung schon vor über 20 Jahren (2 BvF 3/90) geurteilt, dass ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art 80 Abs. 1 S. 3 GG zur Nichtigkeit der Verordnung führt.
Vorliegend werden hier zwar u.a. § 26a Abs. 1 Nr. 1 (neue Verwarnungen) und Nr. 2 (neue Bußgelder) StVG genannt, nicht jedoch § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVO, was für eine wirksame Erweiterung der Regelfahrverbote durch § 4 BKatV notwendig gewesen wäre. Daher liegt bei der aktuellen Änderung ein Verstoß gegen das Zitiergebot vor.
Nun mehren sich die Stimmen, dass durch den Zitierfehler die gesamte Änderung der BKatV nichtig ist. Diese Auffassung wird auch vom Bundesverkehrsministerium vertreten. Argument ist dabei die Untrennbarkeit von Geldbuße und Fahrverbot bei der Ahndung – was sich auf Delikte ohne Fahrverbot auswirkt.
Die meisten Bundesländer haben in der Presse schon angekündigt, dass Ahndungen von laufenden Verstößen nur noch auf Grundlage des bis zum 27.04.2020 geltenden alten Bußgeldkataloges erfolgen. Dies hätte zur Folge, dass für noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren nur noch die alten Bußgelder und Fahrverbote zugrunde gelegt werden. Mit den neuen höheren Bußgeldern kann nicht geahndet werden. Das gilt ebenso für neue Delikte, die erst durch die Reform in die BKatV aufgenommen worden sind.
Die Rechtslage ist ähnlich, wie seinerzeit im Jahre 2010, als in der „Schilderwaldnovelle“ eine Ermächtigungsgrundlage für neue Verkehrsschilder falsch zitiert wurde; der damalige Bundesverkehrsminister Ramsauer hatte in einer Pressekonferenz vom 13.04.2010 die Nichtigkeit erklärt und die Weitergeltung des alten Rechts deklariert.
- Auswirkungen auf die Praxis
- Was folgt für offene Verfahren vor Erlass eines Bußgeldbescheides?
Die Bußgeldstellen müssen nach Kenntnis der Nichtigkeit die bisherigen Regelungen anwenden. Die Verfahren werden jedoch nicht eingestellt, sondern die BKatV ist in der alten Fassung angewendet.
- Noch nicht rechtskräftige Bußgeldverfahren
Ist bereits ein Bußgeldbescheid nach geändertem Recht erlassen und ist die 14-tägige Einspruchsfrist noch nicht verstrichen, sollte umgehend Einspruch eingelegt und eine Änderung der Rechtsfolgen verlangt werden.
- Was gilt bei rechtskräftigen Bußgeldverfahren?
Ist ein Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig, aber ein damit verbundenes Fahrverbot noch nicht angetreten, ist ein Gnadengesuch unter dem Aspekt der nichtigen Regelung zu beantragen. Zugleich sollte Vollstreckungsaufschub bei der Bußgeldstelle unter dem Aspekt der nichtigen Regelung beantragt werden.
Denkbar ist auch ein Antrag nach § 103 OWiG auf gerichtliche Entscheidung, um sich gegen die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Bußgeldbescheid zu wehren. Grund ist die Nichtigkeit und damit Verfassungswidrigkeit der angewandten Vorschriften aufgrund des Verstoßes gegen das Zitiergebot der Änderungsverordnung. Rechtsprechung zu dieser Frage gibt es jedoch nicht. Mit dem Antrag sollte auch die Aussetzung der Vollstreckung nach § 103 Absatz 2 Satz 2 OWiG beantragt werden.
- Ist ein Wiederaufnahmeverfahren möglich?
Bei bereits rechtskräftigen Verwarnungsgeld- oder Bußgeldbescheiden bis 250 € Geldbuße besteht rechtlich keine Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens.
Bei Bußgeldbescheiden mit Fahrverbot oder über 250 € Geldbuße besteht grundsätzlich die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens nach §§ 85 OWiG, 359 bis 373a StPO.
Dieses dürfte jedoch vorliegend wenig erfolgversprechend sein, da es eines Wiederaufnahmegrundes bedarf – hier denkbar als neue Tatsachen gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 OWiG i.V.m. § 359 Nr. 5 StPO. Die fehlerhafte Rechtsanwendung ist aber anerkanntermaßen keine neue Tatsache. Ebenso gilt das für eine Rechtsprechungsänderung.
- Fahrverbote in der Vollstreckung
Befindet sich der Führerschein bereits zur Vollstreckung des Fahrverbotes in amtlicher Verwahrung, ist im Gnadenverfahren die Aufhebung der Entscheidung unter Herausgabe des Führerscheins zu beantragen. Leider ist aber zu erwarten, dass in der Regel eine Entscheidung über einen Gnadenakt länger dauert als ein einmonatiges Fahrverbot.
Manche Bundesländer gehen dazu über, die Vollstreckung von Fahrverboten nach neuem Recht auszusetzen und bereits in der Vollstreckung befindliche Führerscheine von Amts wegen ohne-Antrag zurückzugeben.
- Anwaltliche Beratung
Wegen der im Detail doch sehr komplexen rechtlichen Situation sollte der Fahrer, der mit einem solchen Fall konfrontiert ist, zeitnah die juristische Erstberatung durch einen ADAC-Vertragsanwalt wahrnehmen. Mehr Informationen hierzu und die Kontaktdaten unserer Vertragsanwälte finden Sie gegebenenfalls auch unter www.adac.de.
- Weitere Entwicklung
Über die weitere Entwicklung zu diesem Thema informieren wir immer aktualisiert im Internet unter
https://www.adac.de/verkehr/recht/verkehrsvorschriften-deutschland/stvo-novelle/
- Wichtige „Wohnmobil-Urteile“ von grundsätzlicher Bedeutung
- Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 17.11.2017, Aktenzeichen: 6 K 4419/16. GI Ein Wohnmobilbesitzer hat keinen Anspruch auf Ausnahmegenehmigung für Umweltzonen
Das Verwaltungsgericht Gießen hat entschieden, das ein Wohnmobilbesitzer keinen Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung für die Einfahrt in die Umweltzone der Stadt Marburg hat. Im zugrunde liegenden Fall wollte ein Wohnmobilbesitzer für sein 1991 erstzugelassenes Wohnmobil eine Ausnahmegenehmigung für die Einfahrt in die Umweltzone der Stadt Marburg erstreiten. Das Wohnmobil erfüllt die Voraussetzungen der für die Einfahrt in die Umweltzone mindestens erforderlichen Schadstoffgruppe 4 nicht und lässt sich auch technisch nicht umrüsten. Der Kläger, der das Fahrzeug im August 2015 erworben hatte, machte geltend, dass er von der 2016 umgesetzten Umweltzone überrascht worden sei. Eine Ersatzbeschaffung sei ihm nicht zumutbar. Er hätte das Fahrzeug nicht angeschafft, hätte er von der kommenden Umweltzone gewusst.
Dieser Argumentation folgte das Verwaltungsgericht Gießen nicht. Die Umweltzone beruhe auf dem Luftreinhalteplan des Umweltministeriums, der zwar erst im Januar 2016 ausdrücklich für die Stadt Marburg eine Umweltzone festgesetzt habe. Bereits seit dem Jahr 2014 sei aber die Einrichtung der Umweltzone auch Gegenstand der Diskussion im Stadtparlament gewesen, so dass keine überraschende Entscheidung darin liege. Der Luftreinhalteplan sehe zudem Ausnahmemöglichkeiten vor. Jedoch erfülle der Kläger die Voraussetzungen dafür nicht. Die vorgesehene Stichtagsregelung im Luftreinhalteplan für den Erwerb eines technisch nicht mehr umrüst-baren Fahrzeuges sei der 1. August 2014. Darüber hinaus müsse der Erwerb eines Ersatzfahrzeuges unzumutbar sein, was nur anzunehmen sei, wenn das Einkommen unter der Pfändungs-freigrenze liege. Da der Kläger auch diese Voraussetzungen nicht erfülle, genieße er keinen Bestandsschutz.
Den weiteren Einwand des Klägers, dass durch die Stadtautobahn, die nicht in der Umweltzone liege, eine viel höhere Umweltbelastung entstehe, ließ das Gericht ebenfalls nicht gelten. Die Messung der Luftbelastung mit Stickstoffoxiden, die Grund für die Einrichtung der Umweltzone gewesen sei, habe gerade in der Innenstadt den höchsten, die Grenzwerte überschreitenden Wert ergeben.
- Verwaltungsgericht Oldenburg, Beschluss vom 08.04.2020, Aktenzeichen: 7 B 842/20
Zur Eindämmung des Coronavirus darf die Wohnmobilnutzung durch Parkverbote eingeschränkt werden
Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat die Eilanträge eines aus dem Landkreis Leer stammenden Wohnmobiltouristen gegen die Parkverbote in den Landkreisen Aurich und Wittmund abgelehnt, welche diese für den Zeitraum der bevorstehenden Feiertage angeordnet haben. Das Gericht hat sich nicht mit der Frage der Rechtmäßigkeit dieser auf das Infektionsschutzge-setz gestützten Parkverbote befasst, sondern seine Entscheidungen aufgrund einer Güterabwägung getroffen. Dazu hat es die Schutzpflicht des Staates aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung den Freiheitsrechten des Einzelnen aus Artikel 11 Absatz 1 GG auf Freizügigkeit gegenübergestellt und gewichtet.
Danach hat das Gericht entschieden, dass hier der Wunsch des Wohnmobilisten auf freies Reisen in Deutschland und insbesondere Parken seines Wohnmobiles auch in den Landkreisen Au-rich und Wittmund nicht so schwer zu gewichten ist wie die Absicht der beiden Landkreise, die Bürger vor einer weiteren Verbreitung des Corona-Virus zu schützen und die intensivmedizinische Versorgung weiterhin zu gewährleisten. Der Wohnmobilist muss sich ggfls. andere Zielorte für seine Reisen suchen oder zu Ostern 2020 ganz darauf verzichten. Er kann ggfls. versuchen, im Zuge der noch anhängigen Hauptsacheverfahren später eine eventuelle gerichtliche Abklärung der Rechtmäßigkeit der Parkverbote zu erzielen.
- Landgericht Hamburg, Urteil vom 30.11.2015, Aktenzeichen: 331 O 15/15
Ein Geschädigter hat einen Anspruch auf Ersatz der Überführungskosten seines reparierten Wohnmobils an seinen Urlaubsort
Ein Unfallverursacher ist verpflichtet, die Kosten für die Überführung des reparierten Wohnmobils an den Urlaubsort des Geschädigten zu ersetzen, wenn dadurch eine kostenintensive Umrüstung und weitere Mietkosten eingespart werden. In diesem Fall liegt in dem Austausch des angemieteten Wohnmobils durch das eigene Wohnmobil eine Schadensminderung. Dies geht aus einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg hervor.
In dem zugrunde liegenden Fall wurde ein geparktes Wohnmobil im Oktober 2014 durch einen Pkw gerammt und somit erheblich beschädigt. Da der Eigentümer des Wohnmobils plante einen Monat später für zwei Monate durch Italien zu reisen und die Reparatur des Wohnmobils einige Zeit in Anspruch nehmen würde, mietete er sich ein Ersatzwohnmobil. Dieses war jedoch für die Witterungsverhältnisse im Monat November in Norditalien nicht geeignet. Um eine kostenintensive Umrüstung zu vermeiden, entschied sich der Unfallgeschädigte im Oktober 2014 sein inzwischen repariertes eigenes Wohnmobil nach Norditalien verbringen zu lassen. Die dadurch entstandenen Kosten in Höhe von ca. 1.779 EUR verlangte er ebenso von der Unfallverursacherin ersetzt, wie die Mietkosten in Höhe von ca. 3.360 EUR. Da sich diese weigerte dem nachzukommen, erhob der Unfallgeschädigte Klage.
Das Landgericht Hamburg entschied zu Gunsten des Klägers. Ihm stehe zunächst der Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Anmietung des Ersatzwohnmobils zu. Gegen seine Schadensmin-derungspflicht aus § 254 BGB habe der Kläger nicht verstoßen. Er sei nicht verpflichtet gewesen, angesichts der mehrwöchigen Reparaturzeit seinen Urlaubsantritt zu verschieben. Der Kläger sei berechtigt gewesen, für die Dauer der Reparatur seines eigenen Wohnmobils ein Ersatzfahrzeug anzumieten.
Das Landgericht sprach dem Kläger zudem den Anspruch auf Ersatz der Verbringungskosten zu. Denn dadurch habe er die ihm obliegende Schadensminderungspflicht erfüllt. Bei fortgesetzter Miete des Ersatzwohnmobils wären nicht nur die insgesamt entstandenen Mietwagenkosten erheblich höher ausgefallen, sondern der Kläger hätte auch das Mietmobil mit erheblichem Aufwand umrüsten müssen. Durch den Austausch der Wohnmobile habe der Kläger daher für eine deutliche Kostenersparnis zugunsten der Unfallverursacherin gesorgt.
- BGH, Urteil v. 17.10.2018, Aktenzeichen.: VIII ZR 212/17
Nach über zwölf Monaten nach Herstellung ist auch ein Wohnmobil kein Neufahrzeug mehr
Ein Wohnmobil darf nicht mehr als fabrikneu bezeichnet werden, wenn von der Herstellung bis zum Kauf über zwölf Monate vergangen sind. Genauso verhält es sich auch bei einem Pkw. Eine Verkäuferin war der Auffassung, dass Wohnmobile eine deutlich längere Lebensdauer als PKW besitzen würden und daher die entsprechende Rechtsprechung zu den PKWs nicht zu übertragen sei. Dieser Sichtweise folgte der Bundesgerichtshof (BGH) nicht. Stattdessen erweiterte der BGH seine ständige Rechtsprechung beim Pkw-Verkauf somit nun ausdrücklich auch auf Wohnmobile.
- Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 27.04.2017, Aktenzeichen: 1 U 45/16
Ein „Motorruckeln“ bei neuem Wohnmobil berechtigt wegen Vorliegen eines Sachmangels zum Rücktritt vom Kaufvertrag. Ein solcher Mangel ist weder als geringfügig noch unerheblich anzusehen.
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat entschieden, dass bei einem neuen Wohnmobil das „Ruckeln“ des Motors beim Starten bis zum Erreichen der Betriebstemperatur keinen „Komfortmangel“ darstellt und die Käufer des Fahrzeugs daher zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt sind.
Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Ehepaar aus dem Landkreis Leer hatte im Jahr 2012 von einem Händler im Emsland ein Wohnmobil für rund 42.000 Euro gekauft. Von Anfang an, so das Ehepaar, hätte das Wohnmobil beim Start „geruckelt“. Deswegen wollten sie den Kaufvertrag rückgängig machen. Der Händler vertrat die Auffassung, ein zeitweiliges Ruckeln stelle keinen Sachmangel im Rechtssinne dar. So etwas sei als reiner „Komfortmangel“ hinzunehmen und letztlich unerheblich.
Das Ehepaar klagte und bekam vor dem Landgericht Aurich Recht. Dieses Urteil bestätigte das Oberlandesgericht Oldenburg im Wesentlichen. Nach den Feststellungen eines gerichtlichen Sachverständigen trete bei Fahrten bei Außentemperaturen zwischen 13 und 18 Grad Celsius und bei einer Motordrehzahl zwischen 1.500 und 2.000 Umdrehungen kurz vor Erreichen der Betriebstemperatur ein Motorruckeln auf, das mit Erreichen der Betriebstemperatur wieder verschwinde. Dies entspreche nicht den berechtigen Erwartungen eines verständigen Käufers und stelle daher einen Mangel da, so das Oberlandesgericht. Dabei falle ins Gewicht, dass es sich vorliegend um ein Neufahrzeug zu einem nicht unerheblichen Preis handele. Es liege auch nicht nur ein „Komfortmangel“ vor, zumal während des Ruckelns die Zugkraft des Motors spürbar unterbrochen werde und daher zeitweise nur eine reduzierte Motorkraft vorhanden sei.
Der Mangel sei auch nicht geringfügig und damit unerheblich. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen sei bei den in Deutschland üblichen Temperaturen fast bei jedem Kaltstart mit einem Ruckeln zu rechnen. Darüber hinaus sei die eigentliche Ursache nicht geklärt, weshalb die Eheleute die berechtigte Befürchtung haben dürften, dass es langfristig zu Motorschäden kommen könne.
Vor diesem Hintergrund könnten die Eheleute die Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangen, so das Oberlandesgericht. Sie können also das Wohnmobil an den Händler zurückgeben und erhalten den Kaufpreis erstattet. Für die Zeit, die sie das Wohnmobil bereits genutzt haben, müssen sie sich allerdings einen Betrag als sogenannten „Gebrauchsvorteil“ anrechnen lassen
- Oberlandesgerichts Hamm vom 12.07.2018, Aktenzeichen: Az. 5 U 99/16 Wohnmobil nach niederländischem Recht nicht gutgläubig erworben
Ein “gutgläubiger Erwerb“ ist besonders bei Kraftfahrzeugen immer wieder ein Thema. Gerade bei dem Kauf oder Verkauf von Gebrauchtfahrzeugen ist zu beobachten, dass häufig ein Risikobewusstsein der daran Beteiligten fehlt.
Mit einem solchen Fall hatte sich der 5. Zivilsenat im vergangenen Jahr zu beschäftigen. Der Kläger aus Wiehl kaufte im Jahr 2013 ein Wohnmobil für 35.000 Euro. Er bot es einige Zeit später über eBay-Kleinanzeigen zum Verkauf an. Am 09. Mai 2015 überließ er es einem Kaufinteressenten für eine Probefahrt von 6 Tagen. Der Fahrzeugschein befand sich im Wohnmobil. Zur Absicherung teilte der Kaufinteressent dem Kläger seine Mobilfunknummer mit und gab ihm eine Sicherheit von 500 Euro in bar sowie seinen Führerschein, den der Kläger kopierte.
Der Kaufinteressent brachte das Wohnmobil nicht mehr zurück und war für den Kläger telefonisch nicht erreichbar. Der Kläger erstattete daraufhin Strafanzeige und erfuhr, dass es sich bei dem vorgelegten Führerschein um eine Fälschung handelte.
Zwischenzeitlich wurde das Wohnmobil unter mobile.de für rund 25.000 Euro angeboten; ohne Angabe eines konkreten Namens wurden ein Privatanbieter in Herzogenrath und eine Mobil-funknummer genannt. Auf die Anzeige meldete sich der Beklagte, der (auch) als Kfz-Sachverständiger tätig ist. Er vereinbarte einen Besichtigungstermin am 15. Mai 2015 in Kerkrade/Nie-derlande, zu dem eine Frau mit dem Wohnmobil erschien. Der Beklagte sah sich das Wohnmobil an und entschied sich zum Kauf. Noch vor Ort füllte er handschriftlich einen Kaufvertrag aus; als Verkäuferin war eine angeblich in Euskirchen wohnende “Lena Horn“ genannt. Auf deren Namen lauteten auch die dem Beklagten überreichten – gefälschten – Zulassungsbescheinigungen Teil I und II. Die angegebenen Daten der Erstzulassung und für die nächste HU stimmten nicht mit den vorherigen Angaben in der Anzeige bei mobile.de überein. Der Beklagte erhielt nur einen einzigen Fahrzeugschlüssel und fuhr anschließend davon.
Später an diesem Tag stellte der Beklagte, der wegen der Umstände des Vertragsschlusses bereits ein schlechtes Gefühl hatte, fest, dass die TÜV-Plakette nicht echt war. Er erstattete Strafanzeige. Nachdem der Kläger hiervon erfahren hatte, nahm er den Beklagten auf Herausgabe des Wohnmobils in Anspruch.
Das Landgericht Essen hat die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe das Wohnmobil – so das Landgericht – gutgläubig erworben. Dem Kläger sei es nicht abhandengekommen, was einen gutgläubigen Erwerb ausgeschlossen hätte. Denn dieser habe dem Kaufinteressenten im Mai 2015 freiwillig den Besitz an dem Wohnmobil für 6 Tage überlassen. Der Beklagte hätte zwar mit Blick auf die konkrete Verkaufssituation Nachforschungen anstellen müssen, was er unterlassen habe. Allerdings habe der Kläger in einem solch hohen Maße gegen jegliche ihm obliegenden Verpflichtungen verstoßen, dass die dem Beklagten anzulastenden Sorgfaltsverstöße dahinter zurücktreten würden. Deshalb sei sein Herausgabeverlangen im Verhältnis zu dem Beklagten unzulässig. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt.
Der Senat hat der Klage stattgegeben. Nach dem mit Blick auf den Ort des Erwerbs anzuwendenden niederländischen Recht sei der Beklagte nicht gutgläubig gewesen. Er habe nämlich wegen der verschiedenen Auffälligkeiten bei der Anbahnung und Durchführung des Kaufvertrages guten Grund gehabt, an der vermeintlichen Berechtigung der “Lena Horn“ zu zweifeln. Deshalb hätte er von dem Kauf absehen müssen. Das Herausgabeverlangen des Klägers sei – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch nicht unzulässig. Diese Annahme würde nämlich dazu führen, dass dem Kläger sein Eigentum aberkannt, er mithin enteignet werden würde.